Die Anfänge
Die Musikpflege im Leipzig des 17. und 18. Jahrhunderts wäre ohne die Universität nicht denkbar gewesen: Schon 1645 trat Johann Rosenmüller mit einer „Studenten–Music … mit drey und fünff Violen“ auf.
Rosenmüller war als Baccalaureus der Thomasschule nebenbei Leiter des „Collegium Musicum“ am benachbarten Altenburger Hof. 1657 ist ein Collegium unter Adam Krieger nachgewiesen, wobei die Studenten
anfangs wohl eher unregelmäßig zusammenkamen.Herausragende Komponisten wie Sebastian Knüpfer und Johann Pezel komponierten für verschiedene Studentencollegia, und in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts leitete Johann Kuhnau ein solches Ensemble. Auch der Betrieb der städtischen Oper nach 1693 und die glanzvolle Kirchenmusik an hohen Festtagen wären
ohne die musizierenden Studiosi undenkbar gewesen.
Die neuen Collegia
All diese Aktivitäten bekamen einen neuen Fokus, als Georg Philipp Telemann 1701 an die Leipziger Universität kam und in Bürgermeister Romanus einen einflussreichen Gönner fand. Mit dem charismatischen
Telemann begann eine neue Ära des öffentlichen Musizierens in der Stadt, denn sein Collegium Musicum spieltedie neueste Musik nach italienischem Vorbild. Als er dann 1704 Kirchenmusikdirektor der Neukirche wurde, verstärkte die Misshelligkeiten zwischen ihm und dem inzwischen zum Thomaskantor avancierten Kuhnau. Telemann verließ 1705 überraschend die Messestadt, blieb ihr aber durch Kompositionen für das Opernhaus weiterhin verbunden.
Sein Nachfolger wurde Melchior Hoffmann, unter dessen Leitung das Collegium sehr bald landesweit Anerkennung fand. Zweimal wöchentlich, „nemlich Mittwochs und Freytags von 8-10“, trafen sich bis zu
60 Personen im Caféhaus zum Musizieren! Noch 1790 wurde berichtet, dass „das öffentliche Conzert zu Leipzig“ unter Hoffmanns Leitung „in ganz besonderem Flore“ stand. Wie beliebt diese Einrichtung war, zeigt sich auch am Erfolg eines zweiten Collegium Musicum, das Johann Friedrich Fasch 1708 gründete und das als sogenanntes „Professorencollegium“ bekannt wurde.Hoffmanns Ensemble entwickelte sich schnell zu einer Art „Kaderschmiede“ für deutsche Hofkapellen. Nachmals berühmte Musiker wie Johann Georg Pisendel, Gottfried Heinrich Stölzel und Johann David Heinichen leiteten vertretungsweise das Ensemble, und seine Mitglieder wirkten später in Orchestern wie Eisenach, Weimar, Dresden und Merseburg.
Hoffmann verstarb überraschend 1715, und der Leipziger Rat einigte sich auf Johann Gottfried Vogler als Nachfolger. Nach kurzer Zeit erwies sich dies als echte Fehlentscheidung: Vogler floh 1719 während der Michaelismesse „wegen gemachter Schuld“ und legte kurze Zeit später sein Amt nieder, nachdem seine Veruntreuung einiger Instrumente aus dem Neukirchenfundus bekannt geworden war.
Seit Telemanns Zeiten waren die Neukirchenmusikdirektoren automatisch Leiter des Collegium Musicum, das blieb auch unter Johann Balthasar Schott so. 1723 wurde ein beständiger Veranstaltungsort gefunden: Das Zimmermannische Kaffeehaus in der Katharinenstraße sollte fast 20 Jahre lang Heimat des Collegium Musicum werden.
Kurz nach Schotts Amtsantritt starb Johann Kuhnau, neuer Thomaskantor wurde Johann Sebastian Bach. Dieser bemühte sich von vornherein, die üblen Streitereien zwischen St. Thomas und der Neukirche zu entschärfen. Viel spricht dafür, dass sich Schott und Bach arrangieren konnten, jedenfalls haben sie sich im Kirchendienst gegenseitig vertreten. Bachs große Stunde schlug aber erst, als Schott 1729 Stadtkantor in Gotha wurde.
Das „Bachische“ Collegium Musicum
Bachs Interesse bei der Amtsnachfolge an der Neukirche war offensichtlich: Ohne qualifizierte Musiker waren seine Projekte nicht zu realisieren. Daher wollte er unbedingt das Collegium Musicum an St. Thomas binden, zumal damit auch Nutzungsrechte an den Instrumenten des Cafétiers Zimmermann verbunden waren. Schotts Nachfolger Carl Gotthelf Gerlach, dem normalerweise die Leitung zugestanden hätte, wurde von Bach wohl erst für die Stelle empfohlen, nachdem er auf das Collegium Musicum verzichtet hatte. Dem Thomaskantor eröffneten sich nun neue Perspektiven: Er konnte seine großen geistlichen Werke (wie etwa die Matthäuspassion) in den Hauptkirchen realisieren, und er konzertierte zur Winterzeit im Zimmermannischen Kaffeehause, sommers im Garten „vor dem Grimmaischen Thore“. Das Bachische Collegium trat häufig auch bei „extraordinairen“ Veranstaltungen in Erscheinung wie etwa den Ratswechselfeiern. Bis zum Tod des Cafétiers Zimmermann 1741 hat Bach das Collegium Musicum geleitet, danach ging seine Direktion pikanterweise wieder an Gerlach zurück, dem Mann, der es ursprünglich hatte abtreten müssen. Wahrscheinlich aber konnte Bach (schaut man beispielsweise auf die Kompositionen nach 1741) weiterhin bei großen Figuralmusiken mit der Unterstützung des Collegiums rechnen.
Die große Zeit der Leipziger Collegia war zu diesem Zeitpunkt ohnehin vorbei. 1743 wurde von Leipziger Kaufleuten das Konkurrenzunternehmen „Großes Concert“ gegründet, welches zum unmittelbaren Vorläufer der heutigen Gewandhauskonzerte wurde.
Der Neukirchenmusikdirektor ist 1751 letztmalig als Leiter des Collegium Musicum nachweisbar.